Wahlprüfsteine zur Europawahl (II): 14 Fragen an die SPD

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

nachdem wir Ihnen zum Auftakt unserer Serie zur Europawahl bereits die Antworten der CDU/CSU auf unsere Wahlprüfsteine präsentiert haben, übermitteln wir Ihnen nun die Replik der SPD: Analog zur Position der Union möchte sich die SPD bei der Regulierung der Finanzmärkte primär auf den Bankensektor fokussieren und den Ausbau der Bankenunion vorantreiben. Zur Beendigung der Niedrigzinsphase setzt man maßgeblich auf staatliche Investitionsprogramme und die Mobilisierung des privaten Konsums. Über die Steigerung der Inflation soll dann eine Anpassung des Zinses folgen. Hinsichtlich der Zukunft von Vertriebsprovisionen gibt sich die SPD eher schmallippig: „Aktuell gibt es in der SPD keine Beschlusslage zur Änderung der Vertriebsvergütung im Versicherungsaufsichtsgesetz“. Im Kontext des PEPP wird allerdings sehr deutlich, dass Vertriebsvergütungen grundsätzlich als problematisch angesehen und für niedrige Renditen verantwortlich gemacht werden: „Untersuchungen über die tatsächlichen Nettoerträge der Altersvorsorge haben gezeigt, dass Gebühren und Provisionen die Renditen der Rentensparer erheblich beeinträchtigen“.

Lesen Sie hier die Antworten im Detail:

1. Für welche konkreten Themen macht sich Ihre Partei im Bereich der Finanzmarktregulierung stark?

Antwort: Wir setzen uns für die Umsetzung der Finalisierung von Basel III in Europäisches Recht ein und denken, dass eine ambitionierte Umsetzung des Aktionsplans für ein nachhaltiges Finanzwesen eine zentrale Herausforderung für die nächste Legislaturperiode sein wird. Bei der Finalisierung der Basel III Regelungen sollten auf die in der jüngsten Überarbeitung der Eigenkapitalrichtlinie und -verordnung (CRD V / CRR II) erreichten administrativen Erleichterungen für kleine und risikoarme Banken aufgebaut werden und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit gestärkt werden. Allgemein darf eine Bankenkrise nicht wieder zu einer Staatsschuldenkrise werden. Hierfür werden wir die fatale Kopplung zwischen Staaten und Banken weiter auflösen. Dazu werden wir die Bankenunion weiter vertiefen und u.a. eine gemeinsame Letztsicherung für den Bankenabwicklungsfonds schaffen.

2. Der europäische Finanzmarkt hat in den vergangenen Jahren eine Phase intensiver Regulierungsaktivität erlebt (vgl. IDD, MiFID, u.a.). Wie stehen Sie einer Unterbrechung der regulatorischen Aktivität zugunsten einer Phase der Evaluierung und Folgenabschätzung gegenüber?

Antwort: Wir stehen einer Unterbrechung der Regulierungsaktivität nicht skeptisch gegenüber, insofern sie nach den bisher angekündigten Reformvorhaben (wie z.B. die Umsetzung der Finalisierung von Basel III und die Umsetzung des Aktionsplans der Europäischen Kommission zu einem nachhaltigen Finanzwesen) startet, welche nötig sind, um die Finanzmärkte weiter zu stabilisieren und Kapitalströme in nachhaltige Investitionen zu lenken.

3. Wie hoch beurteilen Sie die Gefahr eines Zurückfallens der europäischen Finanzindustrie im weltweiten Vergleich aufgrund zu hoher bürokratischer Vorschriften?

Antwort: Wir befürchten nicht, dass die europäische Finanzmarktindustrie durch zu hohe bürokratische Vorschriften international zurückfällt. Die europäische Finanzindustrie ist im weltweiten Vergleich weniger profitabel, als die internationale Konkurrenz, jedoch kann dies nicht auf bürokratische Anforderungen zurückgeführt werden. Gründe für die vergleichsweise niedrige Profitabilität im europäischen Bankensektor sind unter anderem das niedrige Zinsumfeld, der hohe Anteil von notleidenden Krediten in den Bankenbilanzen, eine vergleichsweise hohe Kosten-Ertragsquote und teilweise veraltete Geschäftsmodelle.

4. Im gegenwärtigen Niedrigzinsumfeld sehen sich Anlegende mit zunehmend niedrigen Kapitalrenditen konfrontiert, was sich insbesondere im Bereich der privaten Altersvorsorge negativ bemerkbar macht. Welche Wege möchte ihre Partei beschreiten, um die Niedrigzinsphase in Europa zu überwinden?

Antwort: Die SPD hat direkt keinen Einfluss auf das Zinsumfeld, da dieses unabhängig von der EZB festgelegt wird. Ein großangelegtes Investitionsprogramm, welches die Nachfrage der Haushalte und in der gesamten EU das Vertrauen in die Wirtschaft wiederherstellt und diese ankurbelt würde jedoch die Inflation mittelfristig nach oben treiben und die EZB ihrerseits dazu bringen die Zinsen anzuheben, um ihr Inflationsziel von unter 2% nicht zu übertreffen.

5. Wie positionieren Sie sich zum Thema Vertriebsvergütung in der Versicherungs-, Anlage- und Kreditvermittlung? Soll die Dienstleistung künftig auf Basis eines Honorars durch die Kunden vergütet werden, oder streben Sie eine Beibehaltung des gängigen Nebeneinanders der beiden Vergütungswege Honorar/Provision an? Stellt ein gemischtes Vergütungsmodell für Sie eine weitere Option dar?

Antwort: Aktuell gibt es in der SPD keine Beschlusslage zur Änderung der Vertriebsvergütung im Versicherungsaufsichtsgesetz.

6. Wie beurteilt Ihre Partei den gegenwärtigen Zustand des Verbraucherschutzes auf europäischer Ebene. Befinden sich die Verbraucherschutzstandards auf einem ausreichend hohen Niveau, oder ist ein Ausbau notwendig?

Antwort: Während der laufenden Legislaturperiode haben wir wesentliche Rechte von Verbraucherinnen und Verbrauchern in der Europäischen Union stärken können, etwa die Modernisierung des Europäischen Vertragsrechts für digitale Inhalte und beim Erwerb von Gütern, der Transparenz auf Online-Marktplätzen oder bei Sucherergebnissen zu Online-Plattformen. In der kommenden Wahlperiode wollen wir die kollektive Durchsetzung von Verbraucherrechten im Wege der Verbandsklage möglichst zeitnah abschließen. Zudem wollen wir bestehende Richtlinien an die Entwicklungen der Digitalisierung anpassen. Dazu zählt etwa die dringend erforderliche Modernisierung der Produkthaftungsrichtlinie.

7. In Abhängigkeit zu Frage 6: In welchen konkreten Bereichen des finanziellen Verbraucherschutzes sehen Sie Handlungsbedarf?

Antwort: Seit Januar 2018 gilt die EU-Finanzmarktrichtlinie MiFID II, die Verbraucher und Verbraucherinnen besser vor schlechter Beratung und falschen Produkten schützen soll. Da die Europäische Kommission im März 2020 einen ersten Evaluierungsbericht angekündigt hat, wird sich danach zeigen, ob eine Anpassung erforderlich sein könnte, etwa um den grenzüberschreitenden Zugang zu Krediten für Verbraucher und Verbraucherinnen zu erleichtern. Zudem erwarten wir eine konsequente Umsetzung des Aktionsplans der Europäischen Kommission zu Finanzdienstleistungen für Verbraucher aus dem Jahr 2017.

8. Wie positioniert sich Ihre Partei zum Thema Fin/InsurTechs?

Antwort: Die neuen, innovativen Geschäftsmodelle bieten viele Chancen. Gleichzeitig stellen sie auch die Regulierungsbehörden vor große Herausforderungen, unter anderem im Bereich Finanzaufsicht und Verbraucherschutz. Die EU-Kommission hat hierauf mit einem FinTech-Aktionsplan und dem Blockchain Observatory and Forum reagiert. Gleichzeitig hat sich die Bundesregierung mit Ihrer Blockchain-Strategie zum Ziel gesetzt, die Entwicklung durch Fördermaßnahmen zu begleiten und zu beschleunigen.

9. Handelt es sich bei Startups im Finanzsektor Ihrer Meinung nach um einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor?

Antwort: Start-Ups im Finanzsektor weisen oft ein schnelles Wachstum vor und können sich deshalb schnell im Finanzsektor etablieren. Beste Beispiele sind hierfür die noch relativ jungen Onlinebanken wie N26 und Revolut.

10. Planen Sie, den Markteintritt neuer Akteure zu erleichtern (bspw. durch regulatorische sandboxes, Subventionen, u.ä.)?

Antwort: Hier ist es wichtig zwischen neuen Akteuren mit gleichen oder ähnlichen Geschäftsmodellen und Akteuren mit komplett unterschiedlichen Geschäftsmodellen zu unterscheiden. Den Markteintritt von Akteuren mit gleichen oder ähnlichen Geschäftsmodellen wollen wir mit dem Ausbau von Verhältnismäßigkeitsvorschriften fördern, damit ein kleiner Markteinsteiger, der wenig Risiko trägt, im Vergleich zu großen Akteuren bürokratisch entlastet wird. Für neue Geschäftsmodelle können wir uns die Schaffung von "Regulatory Sandboxes" angelehnt an die Praxis im Vereinigten Königreich vorstellen, wenn sie auf Europäischer Ebene erfolgt. Diese können helfen die Einhaltung strenger finanzieller Vorschriften an das Wachstum und das Tempo der innovativsten Unternehmen anzupassen, und zwar in einer Weise, die den Fintech-Sektor nicht mit Regeln erstickt, aber auch den Verbraucherschutz nicht beeinträchtigt. Auch können so Anreize für den Wettbewerb geschaffen werden, damit die Verbraucher mehr und bessere Alternativen zur Verwaltung ihres Geldes haben. Eine europäische Regulierungs-Sandbox könnte Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Ländern vermeiden und transnationale Projekte erleichtern. Die Europäischen Aufsichtsbehörden (ESAs) könnten die lokalen Aktivitäten in jedem Land koordinieren und die EZB eine Sandbox für grenzüberschreitende Bankprojekte verwalten.

11. Wie positionieren Sie sich zum EU-Plan Nachhaltiges Wachstum?

Antwort: Um die Ziele des Pariser Abkommen zu erfüllen und die Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken sind immense Investitionen in die Klimawende unabdingbar. Um diese Investitionen zu erreichen muss die Finanzwirtschaft das nötige Kapital bereitstellen und in die richtige Richtung lenken. Deshalb fällt der Finanzbranche eine Schlüsselrolle bei der Erfüllung der Pariser Klimaziele zu. Dies bedeutet für den Gesetzgeber, dass er neue Standards für grüne Finanzprodukte schaffen muss, damit einerseits der Finanzsektor dieser Rolle nachkommen kann und andererseits Greenwashing verhindert wird. Deshalb unterstützen wir die Schaffung eines einheitlichen ambitionierten Klassifizierungssystems ("Taxonomie") für eine ökologisch nachhaltige Wirtschaftstätigkeit ein, damit Investoren wissen, worin sie investieren und langfristig Kapitalströme in Richtung nachhaltiger Investitionen gelenkt werden können. Die Anwendung des Rahmenwerkes sollte auf ein breites Spektrum von Wirtschaftstätigkeiten geschehen und in eine Abstufung zeigen, wie nachhaltig oder nicht diese Finanzprodukte sind. Darüber hinaus fordern wir, dass die Einhaltung strenger sozialer Garantien - um sicherzustellen, dass keine Investitionen als "nachhaltig" angesehen werden können, wenn z.B. gleichzeitig die Menschenrechte verletzt werden. Die SPD möchte den Aktionsplan der Europäischen Kommission ambitioniert umsetzen.

12. Messen Sie nachhaltigen Investmentprodukten signifikante Marktchancen zu?

Antwort: Nachhaltige Investmentprodukte werden langfristig Marktführer werden und umweltschädliche Investmentprodukte vom Markt verdrängen. Dies ist schlichtweg dadurch zu erklären, dass das Pariser Abkommen so ambitioniert ist, dass langfristig alle Investitionen nachhaltiger Natur werden müssen und dementsprechend auch die Finanzprodukte, über denen sie finanziert oder refinanziert werden.

13. Wie positionieren Sie sich zum Pan-European Personal Pension Product?

Antwort: Untersuchungen über die tatsächlichen Nettoerträge der Altersvorsorge haben gezeigt, dass Gebühren und Provisionen die Renditen der Rentensparer erheblich beeinträchtigen. Rentensparprodukte entwickeln sich allzu oft deutlich schlechter als die Kapitalmärkte und zerstören manchmal sogar langfristig den realen (nach der Inflation) Wert des Rentenersparnis. Dies wiederum steht im Zusammenhang mit der extremen Fragmentierung der Märkte für Rentensparprodukte innerhalb der EU, der Komplexität und Opazität vieler Produkte und dem unzureichenden Wettbewerb. Aus diesen Gründen unterstützt die SPD die Schaffung eines paneuropäischen persönlichen Altersvorsorgeprodukts (PEPP), das einen großen Beitrag zur Linderung dieser besorgniserregenden Situation leisten würde, sofern der PEPP die Angemessenheit der Altersversorgung durch angemessene langfristige Renditen und ein "grundlegendes PEPP" (Standardanlageoption) gewährleistet, das wirklich sicher und wirklich einfach ist. Die SPD in Europa hat sich erfolgreich für eine Obergrenze von 1% pro Jahr für Gebühren, die für das "Basis-PEPP" erhoben werden eingesetzt. Bei richtiger Umsetzung sollte der "Basis-PEPP" den langfristigen realen Wert der Anlage schützen, Ihre Ersparnisse vor Gebühren und Inflation schützen und sicherstellen, dass Sie beim Erreichen des Rentenalters keine bösen Überraschungen erleben. Zu diesem Zweck wird ein PEPP eine sogenannte "Kapitalgarantie" anbieten.

14. Messen Sie europaweit einheitlichen Altersvorsorgeprodukten signifikante Marktchancen zu?

Antwort: Ja, wenn die Kapitalgarantie den langfristigen realen Wert der Anlage schützen.


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