Wahlprüfsteine zur Europawahl (IV): 14 Fragen an DIE LINKE

Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

nachdem wir Ihnen im Rahmen der Serie zur Europawahl bereits die Antworten von CDU/CSU, SPD und GRÜNE auf unsere Wahlprüfsteine präsentiert haben, veröffentlichen wir nun die Stellungnahme der nach der Wahl 2014 viertstärksten Partei: DIE LINKE. Erwartungsgemäß fallen deren Kommentare deutlich kritischer und wenig marktfreundlich aus. Zum provisionsgestützen Vertrieb ist die Stellung der Partei unvermittelt klar: DIE LINKE möchte „(…) mittelfristig die provisionsgestützte Finanz- und Versicherungsberatung/-vermittlung abschaffen und unabhängige Beratung, insbesondere durch Honorarberater*innen, stärken.“ Analog zur Position der CDU/CSU steht der freie Finanzvertrieb aber nicht unmittelbar im Fadenkreuz regulatorischer Aktivität. Finanzmarktregulierung bedeutet auch für DIE LINKE in erster Linie einen Eingriff in das Geschäftsmodell von Kreditinstituten sowie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Der Weg aus der Niedrigzinsphase sei langfristig nur über eine Reihe makroökonomischer Anpassungen beschreitbar, bspw. über eine Stimulierung der Investitionsdynamik in strukturschwachen EU-Mitgliedsstaaten.

Lesen Sie hier die Antworten im Detail:

1. Für welche konkreten Themen macht sich Ihre Partei im Bereich der Finanzmarktregulierung stark?

Antwort: DIE LINKE engagiert sich für eine Finanzmarktregulierung, die den Finanzsektor auf eine der Realwirtschaft und den Verbraucher*innen dienende Funktion fokussiert. Dies umfasst etwa eine konsequente Minimierung von systemischen Risiken (bspw. too-big-to-fail und too-interconnected-to-fail im Bank- und Versicherungsbereich) durch krisenfeste Eigenkapitalunterlegungen bzw. ein funktionales Trennbankensystem, regulatorische Gleichberechtigung zur Unterbindung von Ausweichreaktionen ins Schattenbanksystem oder das Beenden von Anreizkonflikten durch einen Ausstieg aus der Provisionsberatung. Auch ist für uns überbordende Komplexität bei Firmenstrukturen und Produktgestaltungen problematisch, da so Risiken verborgen und Informationsasymmetrien erhöht werden. Wir halten eine Gemeinwohlorientierung sowie die Förderung sozial und ökologisch konsequent nachhaltiger Anlage und Akteure für wünschenswert. Eine Finanztransaktionsteuer würde ohne negativen Einfluss auf langfristige Finanzierungsgeschäfte wichtige Mittel für öffentliche Zukunftsinvestitionen aus spekulatorischen Geschäften wie dem Hochfrequenzhandel generieren.

2. Der europäische Finanzmarkt hat in den vergangenen Jahren eine Phase intensiver Regulierungsaktivität erlebt (vgl. IDD, MiFID, u.a.). Wie stehen Sie einer Unterbrechung der regulatorischen Aktivität zugunsten einer Phase der Evaluierung und Folgenabschätzung gegenüber?

Antwort: Die regelmäßige Evaluierung von Politikmaßnahmen, auch in der Finanzmarktregulierung, sollte selbstverständlich sein. Europäische Union und Bundesregierung haben sich zuletzt intensiver einer Bewertung der seit der Krise getroffenen Maßnahmen gewidmet. Entscheidungen über notwendige Regulierungsschritte sollten nicht vor dem Hintergrund der Menge bereits bestehender Regeln getroffen werden, sondern mit Blick auf zu lösende Probleme. Insofern betrachten wir es als kritisch an, dass jegliche regulatorische Initiativen mit dem Verweis auf bereits erlassene Regeln kritisiert werden.

3. Wie hoch beurteilen Sie die Gefahr eines Zurückfallens der europäischen Finanzindustrie im weltweiten Vergleich aufgrund zu hoher bürokratischer Vorschriften?

Antwort: Unserer Einschätzung nach verfügen die Europäische Union und Deutschland über für private Finanzmarktakteure attraktive Finanzplätze. Insoweit als Finanzmarktregulierung Finanzstabilität und Nachhaltigkeit zuträglich ist, stärkt dies europäische Finanzplätze im internationalen Vergleich. Regeln, welche Verbraucher*innen schützen, aber möglicherweise die Profitabilität von Finanzprodukten einschränken, sind vor dem Hintergrund verbraucherschutzrechtlicher Beweggründe entsprechender Regulierung notwendig und haben im Übrigen auch keinen Einfluss auf Wettbewerbspositionen, da alle in der Europäischen Union tätigen Finanzmarktakteure einheitlicher Regulierung unterliegen (sollten). Dies schließt selbstredend nicht aus, dass punktuell regulatorische Maßnahme nicht notwendige Belastungen erzeugen. Für die Abwägung solcher Fragen wären die erwähnten Evaluierungsprozesse zu nutzen.

4. Im gegenwärtigen Niedrigzinsumfeld sehen sich Anlegende mit zunehmend niedrigen Kapitalrenditen konfrontiert, was sich insbesondere im Bereich der privaten Altersvorsorge negativ bemerkbar macht. Welche Wege möchte ihre Partei beschreiten, um die Niedrigzinsphase in Europa zu überwinden?

Antwort: Die Niedrigzinsphase in Europa ist die Folge einer überstrapazierten Geldpolitik im Kontext einer ökonomisch kontraproduktiven Fiskalpolitik. Eine dauerhafte Erholung des Zinsniveaus wird nur über eine Wiederbelebung der Investitionsdynamik in ganz Europa erreichbar sein. Höhere Investitionen sind auch allein aufgrund der massiven Herausforderungen mit Blick auf den ökologischen Umbau der Gesellschaft sowie die fortschreitende Deindustrialisierung Südeuropas in Folge der verfehlten Krisenpolitik unabdingbar. Eine europäische Investitionsoffensive muss in erster Linie durch öffentliche Anschubinvestitionen getragen werden, da in wichtigen Zukunftssektoren Skalen- und Netzwerkeffekte privatwirtschaftlich zu einem ineffizienten Investitionslevel führen. Gleichzeitig fehlt durch die Kürzungspolitik in vielen Ländern die gesamtwirtschaftliche Nachfrage, um private Investitionen anzureizen. Aus diesem Grund müssen die aktuellen Fiskalregeln und Zukunftsbremsen überwunden und durch Goldene Investitionsregeln ersetzt werden. Kurzfristig kann die Europäische Zentralbank durch verstärkte Anleihekäufe öffentlicher Förderbanken ihrer Quantitativen Lockerung zu einem realwirtschaftlich besseren Ergebnis verhelfen.

5. Wie positionieren Sie sich zum Thema Vertriebsvergütung in der Versicherungs-, Anlage- und Kreditvermittlung? Soll die Dienstleistung künftig auf Basis eines Honorars durch die Kunden vergütet werden, oder streben Sie eine Beibehaltung des gängigen Nebeneinanders der beiden Vergütungswege Honorar/Provision an? Stellt ein gemischtes Vergütungsmodell für Sie eine weitere Option dar?

Antwort: DIE LINKE macht sich seit Langem für eine wirklich unabhängige, verbrauchergerechte Finanz- und Versicherungsberatung stark, bei der Provisionen keine Verkaufsanreize bieten sollten. Die Pläne der Bundesregierung zur Provisionsdeckelung im Bereich Lebensversicherungen und Restschuldversicherungen können einen ersten Ansatzpunkt darstellen, werfen aber neue Probleme auf. Da eine solche Deckelung unterschiedliche Auswirkungen auf die Ausschließlichkeit, Mehrfachagenten oder Versicherungsmakler haben wird, wird es zu neuen Ungerechtigkeiten kommen. Deshalb möchte DIE LINKE mittelfristig die provisionsgestützte Finanz- und Versicherungsberatung/-vermittlung abschaffen und unabhängige Beratung, insbesondere durch Honorarberater*innen, stärken.

6. Wie beurteilt Ihre Partei den gegenwärtigen Zustand des Verbraucherschutzes auf europäischer Ebene. Befinden sich die Verbraucherschutzstandards auf einem ausreichend hohen Niveau, oder ist ein Ausbau notwendig?

Antwort: Zwar ist nicht zu leugnen, dass auf europäischer Ebene einige Anstrengungen zur Stärkung des Verbraucherschutzes unternommen wurden, dennoch bleibt einiges zu tun. Ein Ausbau sowie eine Weiterentwicklung der Verbraucherschutzstandards sind daher notwendig.

7. In Abhängigkeit zu Frage 6: In welchen konkreten Bereichen des finanziellen Verbraucherschutzes sehen Sie Handlungsbedarf?

Antwort: Zu begrüßen ist, dass die Strafen bei unlauteren Geschäftspraktiken sowie bei Verstößen gegen die Richtlinie über Verbraucherrecht angehoben wurden. Ebenfalls ist es gut, dass bei Onlineplattformen bzw. Vergleichsportalen besser ersichtlich sein soll, welche Kriterien für das Ranking der Angebote verantwortlich sind. Wir werden als LINKE weiterhin darauf achten, dass das Widerrufsrecht nicht abgeschwächt wird. Das PEPP-Projekt geht in eine völlig falsche Richtung, weil es die private, kapitalmarktbasierte Altersvorsorge weiter stärken soll. Infolge von MiFID II und IDD II sollte es verbindlichere und strengere Regelungen zur Transparenz sowie Begrenzung von Provisionen und sonstigen Vergütungen bei der Finanz- und Versicherungsvermittlung geben. Des Weiteren setzt sich DIE LINKE für die europaweite Einführung einer obligatorischen Zulassungsprüfung für Finanzinstrumente und Geldanlagen ein (sog. Finanz-TÜV), um sowohl die Finanzstabilität als auch den Verbraucherschutz zu stärken.

8. Wie positioniert sich Ihre Partei zum Thema Fin/InsurTechs?

Antwort: Die Digitalisierung von Finanzdienstleistungen kann zu besseren Angeboten am Markt und effizienteren Abläufen beitragen. Ob dies durch neu eintretende Firmen oder durch veränderte Prozesse bereits am Markt befindlicher Akteure geschieht, ist aus politischer Sicht zweitrangig. Wichtig ist, dass Finanzmarktregulierung unter Beachtung von Risikoprofilen, Nachhaltigkeitsstandards und Verbraucherschutzgesichtspunkten Unternehmen gleiche Voraussetzungen bietet.

9. Handelt es sich bei Startups im Finanzsektor Ihrer Meinung nach um einen wesentlichen Wirtschaftsfaktor?

Antwort: Startups im Finanzsektor sind einer von vielen Sektoren in denen neue Technologien positiv wirken können und zeitgleich neue Risiken mit sich bringen, die regulatorisch adressiert werden sollten.

10. Planen Sie, den Markteintritt neuer Akteure zu erleichtern (bspw. durch regulatorische sandboxes, Subventionen, u.ä.)?

Antwort: Eine gegebenenfalls gebotene Förderung neuer Technologien sollte sich über öffentliche Forschungsförderung sowie hinreichende Finanzierungsmöglichkeiten für Start-Ups, die gemeinwohlorientierte Lösungen erdenken, realisieren. (Finanzmarkt)Regulierung sollte unter Beachtung von Risikoprofilen und Verbraucherschutzgesichtspunkten allen Unternehmen gleiche Voraussetzungen bieten. Die Marktmacht sollte grundsätzlich und insbesondere im Fall von Plattformökonomien in digitalen Bereichen entschieden regulatorisch eingehegt werden.

11. Wie positionieren Sie sich zum EU-Plan Nachhaltiges Wachstum?

Antwort: DIE LINKE unterstützt grundsätzlich die Intention der Europäischen Kommission zur Förderung nachhaltiger Kriterien am Finanzmarkt. Hilfreiche Transparenzmaßnahmen im Bereich der Benchmarks und der Taxonomie sollten allerdings nicht zulasten der Finanzstabilität gehen. Eine schrittweise Verpflichtung zur Reduktion, nicht nur zur Offenlegung, von Nachhaltigkeitsrisiken für alle Finanzmarktakteure könnte die gebotene sozial-ökologische Wende der europäischen Wirtschaft ohne Wettbewerbsverzerrung unterstützen. Klar ist allerdings auch, dass zur Schließung der von der Europäischen Kommission errechneten massiven Investitionslücke von jährlich 180 Mrd. Euro zur Erreichung der Pariser Klimaziele eine substantielle Ausweitung öffentlicher Investitionstätigkeit jenseits von flankierenden Maßnahmen im privaten (Finanz)sektor unumgänglich ist. Hierbei ergeben sich auch synergetische Effekte durch crowd-in privater Kreditnachfrage sowie Skalenerträgen in nachhaltigen Wirtschaftsbereichen.

12. Messen Sie nachhaltigen Investmentprodukten signifikante Marktchancen zu?

Antwort: Sofern die ökologisch und ökonomisch gebotene Einpreisung sozialer Kosten umweltschädlicher Substanzen (etwa CO2-Emissionen) politisch umgesetzt wird, erhalten nachhaltige Finanzprodukte automatisch substantielle Marktchancen.

13. Wie positionieren Sie sich zum Pan-European Personal Pension Product?

Antwort: PEPP soll private, kapitalgedeckte Altersvorsorge europaweit attraktiv machen. Es werden mit PEPP nicht hier in Deutschland bestehende Produkte wie die Riester-Rente ersetzt, sondern eine neue Kategorie eingeführt, die EU-weit vertrieben wird. Wir unterstützen nicht, dass immer mehr Ersparnisse privater Haushalte auf die Kapitalmärkte gelenkt werden sollen. Letztlich ist PEPP auch ein Goldesel für die Versicherungsbranche. Zahlreiche Untersuchungen zeigen seit Jahren die Schwäche privatwirtschaftlicher Altersvorsorgeprodukte: hohe Kosten, geringe Rendite, fehlender sozialer Ausgleich (z.B. bei Pflege von Angehörigen) sowie eine starke Abhängigkeit von konjunkturellen Schwankungen an den Finanzmärkten. Betrachtet man PEPP allein innerhalb des Systems privater Altersvorsorgeprodukte, könnte man glatt hoffen, dass dadurch alle EU-Bürger*innen Zugang zu sichereren, transparenteren und portablen Produkten erhalten. Die Portabilität sowie Orientierung von PEPP an ESG-Faktoren sind zweifelsohne positive Elemente. Es fehlen bei PEPP aber beispielsweise klare Vorgaben zur Begrenzung der Vertriebs- und Verwaltungskosten (es gibt nur Gebührendeckel beim Basis-PEPP), zum Widerrufsrecht, zur Kündigung oder zur Beitragsfreistellung. Wir halten es ferner für den falschen Ansatz, Alternative Investmentfonds, AIF, - die hochriskant und teils intransparent sind - den Weg zu PEPP zu ebnen. In der Gesamtschau hält DIE LINKE es für die falsche Herangehensweise, einen europäischen Markt für die private Altersvorsorge zu schaffen und damit die dritte Säule einseitig auszubauen und attraktiver zu machen.

14. Messen Sie europaweit einheitlichen Altersvorsorgeprodukten signifikante Marktchancen zu?

Antwort: Ein europaweit einheitliches Altersvorsorgeprodukt hätte den Vorteil, dass sich der sehr ungleiche Entwicklungsstand der privaten Altersvorsorge in der EU annähern würde. Doch es ist zu bezweifeln, dass die neuen PEPP-Angebote wirklich so einfach, transparent und kostengünstig sein werden, wie von der EU-Kommission und EIOPA propagiert wird. Gerade die Versicherer in Deutschland sehen PEPP lediglich als ungeliebte neue Konkurrenz für ihre innig geliebten Goldesel 'Privatrenten' an. Die Marktchancen von PEPP schätzen wir eher mittelmäßig ein.


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