Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 (II): 8 Fragen an Bündnis 90/Die Grünen

Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 (II): 8 Fragen an Bündnis 90/Die Grünen

Wahlprüfsteine zur Bundestagswahl 2021 (II): 8 Fragen an Bündnis 90/Die Grünen

Wie stehen Bündnis 90/Die Grünen zur Zukunft der privaten Altersvorsorge, zur Dualität in der Vertriebsvergütung, Provisionsdeckel und weiteren regulatorischen Maßnahmen? VOTUM hat nachgefragt - und Antworten bekommen!

1. Die Coronavirus-Pandemie hat wie ein Brennglas Schwachstellen und Missstände der Leistungsfähigkeit des deutschen Staates aufgedeckt. Wie steht Ihre Partei zu der Position, dass die nächste Legislaturperiode zur staatlichen Modernisierung und Neuaufstellung genutzt werden sollte?

Bündnis 90/Die Grünen: Die Corona-Krise hat gezeigt, wie viel unser Staat leistet – und wo es mangelt. Faxgeräte, besetzte Hotlines, Behördenrennerei und Planungen, die wegen Personalmangels eine gefühlte Ewigkeit nicht umgesetzt werden, mahnen uns, dass sich etwas ändern muss. Wir GRÜNE wollen unsere Verwaltung modernisieren, sie kreativer, digitaler und innovativer machen und besser ausstatten. Wir wollen Mut machen, zu experimentieren und eine positive Fehlerkultur zu entwickeln. Wir wollen Spielräume für dringend notwendige Zukunftsinvestitionen schaffen, mehr Kooperation zwischen Bund, Ländern und Kommunen ermöglichen und die Nachfragemacht des Staates für Innovation und Nachhaltigkeit nutzen. Wir planen den Aufbau neuer Behörden und Verwaltungsstrukturen, weil wir einen starken und effizienten Staat wollen, der zu den Aufgaben passt. Dazu gehört dann auch, dass wir überprüfen, was es nicht mehr braucht, was zugemacht werden kann, was besser werden muss.

2. Welchen Stellenwert misst Ihre Partei der Tätigkeit der unabhängigen Versicherungs- und Kapitalanlagevermittler bei?

Bündnis 90/Die Grünen: Im Bereich der Vermittlung und Beratung zu Finanz-, Versicherungs- und Kapitalanlageprodukten sind in Deutschland mehr als 200.000 Menschen tätig, viele von ihnen selbstständig. Damit stellt er einen wichtigen deutschen Wirtschaftszweig und Arbeitgeber dar. Durch ihre Tätigkeit tragen sie so dazu bei, dass Bürger*innen in Deutschland mit Fragen der Altersvorsorge, Absicherung oder Kapitalanlage nicht alleingelassen werden.

3. In welche Richtung wünschen Sie sich eine Weiterentwicklung der Branche im Laufe der 20. Legislaturperiode und darüber hinaus – für welche konkreten Themen macht sich Ihre Partei im Bereich der Finanzmarktregulierung stark?

Bündnis 90/Die Grünen: Wir GRÜNE wollen in der Branche mittel- bis langfristig ein eigenständiges und wettbewerbsfähiges Berufsbild des unabhängigen Honorarberaters mitsamt eigener Honorarordnung etablieren und zum Standard in der Beratung machen. Das wird sowohl dem Verbraucherschutz nutzen als auch eine nachhaltige Beschäftigungsperspektive für den Finanz- und Versicherungsvertrieb bieten. Wir setzen uns deshalb heute für gleiche Wettbewerbsbedingungen für die unabhängige Honorarberatung ein. Hierzu gehören z.B. das verpflichtende Angebot von Netto-Tarifen oder die volle Transparenz bei Provisionen und Zuwendungen. Zudem streben wir einen Rahmenplan für den kompletten Umstieg auf die unabhängige Honorarberatung an, der Planungssicherheit für die Branche schafft.

4. Setzen Sie auf eine 1:1-Umsetzung von europäischen Richtlinien im Bereich der Finanzmarktregulierung? Oder würden auch – notfalls mittels eines nationalen Alleingangs – erweiterte Anforderungen für den deutschen Markt entwickeln?

Bündnis 90/Die Grünen: Durch die Harmonisierung über Richtlinien wird sichergestellt, dass Verbraucher*innen, Unternehmen und Banken, wenn sie Geschäfte in einem anderen Mitgliedstaat machen, bestimmte Mindeststandards erwarten können. In manchen Bereichen ist eine 1:1-Umsetzung praktikabel und ausreichend. Jedoch handelt es sich bei den Richtlinien oftmals um Kompromisse zwischen 27 EU-Mitgliedstaaten, die nicht immer passgenau für jedes Land sind. Die Richtlinien lassen bewusst Spielraum, um nationalen Besonderheiten und Präferenzen gerecht zu werden. Lassen sich durch sinnvolle Anpassungen Verbesserungen für Verbraucher*innenschutz, Finanzstabilität, Finanzindustrie und Wirtschaft erzielen, so sind wir bereit über eine 1:1-Umsetzung dieser Mindestharmonisierung hinauszugehen.

5. Wie positionieren Sie sich zu Vertriebsvergütung? Sollen Beratung und Vermittlung künftig zwingend auf Basis eines Honorars vergütet werden, oder streben Sie eine Beibehaltung des Nebeneinanders der beiden Vergütungswege Honorar/Provision an? Stellt ein gemischtes Modell für Sie eine Option dar?

Bündnis 90/Die Grünen: Wir GRÜNE wollen Interessenkonflikte durch provisionsbasierte Beratung verhindern. Auch bei transparenteren Produkten bleiben viele Menschen auf Beratung angewiesen. Eine durch Provision motivierte Vermittlung bevorzugt Produkte mit lukrativen Provisionen. Obwohl dadurch eine qualitativ hochwertige Beratung nicht ausgeschlossen ist, besteht insgesamt die Gefahr von Fehlberatungen an den individuellen Bedürfnissen der Kund*innen vorbei. Wir wollen daher heute die gesetzlichen Voraussetzungen schaffen, um einen sukzessiven Übergang von der Provisionsberatung zur unabhängigen Honorarberatung zu vollziehen. Dafür wollen wir Wettbewerbsnachteile für unabhängige Berater*innen sofort abbauen. Darüber hinaus muss ein klarer Zeitplan für den Ausstieg aus der Provisionsberatung festgelegt werden, sodass für alle Beteiligten ein planbarer und angemessener Übergangszeitraum besteht.

6. Wollen Sie die Investitionen in nach ESG-Kriterien als nachhaltig einzuordnende Finanzprodukte zusätzlich politisch fördern? Wenn ja, welche Anreize sind beabsichtigt?

Bündnis 90/Die Grünen: Die Nachfrage nach nachhaltigen Finanzprodukten wächst schnell. Viele Anleger*innen wollen die Auswirkungen und Risiken des Klimawandels in ihren Anlagestrategien berücksichtigen. Aus Sicht der Verbraucher*innen ist oftmals das Problem, dass sich in angepriesenen „grünen“ Finanzanlagen umweltschädliche oder sozial unverträgliche Investitionen verstecken. Das schwächt das Vertrauen in diesen noch jungen Markt. Die beste Förderung ist deshalb derzeit, durch die Etablierung klarer „grüner“ Kriterien solches Greenwashing zu verhindern. Wir unterstützen deshalb das Vorhaben der EU-Kommission, ein Klassifizierungssystem zu erarbeiten, das erstmals klar definiert, wann eine Wirtschaftstätigkeit als ökologisch nachhaltig eingestuft werden kann. Basierend auf dieser Grundlage wollen wir klar verständliche und einfache Nachhaltigkeitslabels entwickeln. So können Kund*innen eine freie und informierte Entscheidung über den Grad der Nachhaltigkeit ihrer Finanzanlage treffen.

7. Die Altersvorsorge in Deutschland basiert bekanntermaßen auf den drei Säulen gesetzliche Rente, betriebliche Altersvorsorge und private Altersvorsorge. Wollen Sie dieses System beibehalten? Welche Reformen haben Sie für dieses System geplant? (Bitte nach Säulen aufgliedern)

Bündnis 90/Die Grünen: Die grundsätzliche Systematik des Alterssicherungssystems wollen wir GRÜNE beibehalten.

(1) Die erste Säule wollen wir stärken und das gesetzliche Rentenniveau stabilisieren. Zudem entwickeln wir die gesetzliche Rentenversicherung schrittweise zu einer Bürger*innenversicherung weiter. In einem ersten Schritt sollen bisher nicht anderweitig abgesicherte Selbstständige und Abgeordnete in die gesetzliche Rentenversicherung einbezogen werden. In einem zweiten Schritt Beamt*innen und weitere Gruppen.

(2) Die betriebliche Altersvorsorge wollen wir stärken und in die Breite bringen, indem wir Arbeitgeber*innen verpflichten, allen Beschäftigten eine betriebliche Altersvorsorge anzubieten und sie angemessen an der Finanzierung beteiligen.

(3) Die private Säule wollen wir durch ein kostengünstiges Standardprodukt stärken und die Riester- und Rürupförderung auf Geringverdiener*innen konzentrieren.

8. Wie beurteilen Sie den gegenwärtigen Zustand des Verbraucherschutzes? Befinden sich die Standards auf einem ausreichend hohen Niveau, oder ist ein Ausbau notwendig? Falls Sie einen Ausbau für notwendig halten: In welchen Bereichen des finanziellen Verbraucherschutzes sehen Sie Handlungsbedarf?

Bündnis 90/Die Grünen: Im Sinne des finanziellen Verbraucher*innenschutzes setzen wir GRÜNE uns für eine hohe Qualität der Finanzberatung, verbrauchergerechte Anlageprodukte und eine faire Lastenverteilung ein. Neben der sukzessiven Umstellung auf unabhängige Honorarberatung und der Einführung eines Bürger*innenfonds als Zusatzvorsorge für das Alter halten wir einen besseren Schutz vor überhöhten Kosten und unsicheren Produkten für notwendig. Auch in Zeiten der Niedrigzinsphase müssen Kontoentgelte oder Dispozinsen in einem angemessenen Verhältnis zu den Kosten stehen und transparent sein. Daher setzen wir uns für eine Deckelung der Dispozinsen, eine einheitliche Berechnungsgrundlage für Vorfälligkeitsentschädigungen, eine klare Kostenregelung für Basiskonten und die zügige Einführung der BaFin-Vergleichsplattform für Kontogebühren ein. Die Finanzaufsicht wollen wir stärken, indem wir die derzeit unterschiedlichen Aufsichtsstrukturen durch eine einheitliche und kostengünstige Aufsicht bei der BaFin ersetzen.


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