Presseinformation: Arbeitsmarktstärkungsgesetz – Einstieg in die staatliche Altersdiskriminierung Selbstständiger

Presseinformation: Arbeitsmarktstärkungsgesetz – Einstieg in die staatliche Altersdiskriminierung Selbstständiger



Berlin, 01. Oktober 2025 – Der Referentenentwurf zum Arbeitsmarktstärkungsgesetz verfolgt das Ziel, ältere Menschen länger im Erwerbsleben zu halten und so dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Kernstück ist ein steuerfreies Einkommen von bis zu 2.000 Euro monatlich für Personen, die über die Regelaltersgrenze hinaus arbeiten. Der Ansatz klingt sinnvoll, ist in seiner konkreten Ausgestaltung aber unausgewogen.

Selbständige bleiben außen vor

„Arbeit schafft Wachstum und Wohlstand“ offenbar gilt dieser Allgemeinplatz des Gesetzesentwurfs nicht für jede Arbeitsleistung: Einkommen aus selbständiger Erwerbsarbeit, über die Regelaltersgrenze hinaus, sollen steuerliche Vergünstigungen verwehrt werden. Die Begründung im Gesetzesentwurf lässt alle Selbständigen kopfschüttelnd zurück und ist ein Lehrstück dafür, wie es gelingt, die vorhandene Politikverdrossenheit weiter zu steigern. Im Entwurf heißt es:

„Zudem werden hierdurch Tätigkeiten, die zu Einkünften aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft führen, von der Begünstigung ausgenommen. Dies entspricht der Intention der neuen Steuerbefreiung, die Ausweitung abhängiger Beschäftigungsverhältnisse zu fördern […]. Außerdem arbeitet schon heute eine große Zahl von Selbständigen und Unternehmer nach dem Überschreiten der Regelaltersgrenze weiter. Dies zeigt, dass es aktuell keiner weiteren Anreize durch eine steuerliche Förderung bedarf, diesen Personenkreis zur Weiterarbeit zu bewegen.“

Der Entwurf aus dem Ministerium von Vizekanzler Klingbeil, der zuletzt monierte, dass seine Partei sich zu wenig um Menschen gekümmert habe, „die morgens fleißig aufstehen“ unterteilt nun die Fleißigen: Angestellte sollen gefördert, Selbständige ignoriert werden, weil diese ja bereits heute häufig länger arbeiten.

Offenbar hat sich das BMF hier das gängige Klischee golfspielender Besserverdiener mit gelegentlichem Beratungsvertrag zur Grundlage seines Gesetzesentwurfs gemacht.

Dabei sind es gerade viele Selbständige, die eine Förderung dringend bedürften. Nach Daten des Mikrozensus verdienen knapp 2,0 Millionen Selbständige – dh. mehr als die Hälfte – weniger als 2.500 Euro netto im Monat. Viele sind tatsächlich „ohnehin über die Altersgrenze hinaus tätig“ – nicht aber nur aus Leidenschaft und Überzeugung, sondern weil sie es aus finanziellen Gründen müssen.

Wer ausgerechnet diese Gruppe von steuerlicher Entlastung ausschließt, bedient Klischees vom wohlhabenden Steuerberater oder Arzt – und verweigert den Blick auf Handwerker, Solo-Selbständige oder Kleinstunternehmer, die längst am Limit arbeiten

Diese Schieflage ist nicht nur ein Problem für die unmittelbar Betroffenen. Sie wirkt auch in die Gesellschaft zurück. Gerade in der Versicherungs- und Vorsorgeberatung ist ein erheblicher Teil der Fachkräfte selbständig tätig. Von insgesamt 480.300 Erwerbstätigen in der Versicherungswirtschaft arbeiten 181.800 als selbständige Vermittler und Berater (GDV, 2025). Wer diesen Personenkreis systematisch benachteiligt, riskiert mittelfristig nicht nur die wirtschaftliche Existenz vieler Betriebe, sondern schafft auch eine gefährliche Beratungslücke. Der Staat beraubt sich damit genau jener Expertise, die dringend gebraucht wird, um Altersvorsorge und Risikoschutz in einer alternden Gesellschaft zu sichern.Besonders schwer wiegt dies, weil die Branche ohnehin mit massiven Nachwuchsproblemen kämpft: Schon heute fehlen junge Vermittlerinnen und Vermittler, die in die Fußstapfen der Älteren treten könnten. Ein politischer Kurs, der erfahrene Selbständige demotiviert, verschärft diesen Mangel weiter.

Beispiele aus der Praxis

Das Gesetz produziert auch bei der gewünschten Bekämpfung des Fachkräftemangels unlogische Beschränkungen.

Ein Beispiel.: Ein langjähriger Anlagetechniker erhält nach Renteneintritt das Angebot, zehn Stunden pro Woche im Bereitschaftsdienst einzuspringen. Sein Einkommen bleibt bis 2.000 Euro steuerfrei. Seine Kollegin aus der IT-Abteilung möchte nach Rentenbeginn Schulungen in gefragter Anwendersoftware geben – allerdings auf selbständiger Basis. Sie muss jeden Euro voll versteuern. Beide werden gebraucht, beide leisten einen Beitrag, aber nur einer wird steuerlich entlastet. Noch offensichtlicher wird die Ungleichbehandlung und damit der Systembruch beim Malerhandwerk: Ein angestellter Maler, der nach Erreichen der Altersgrenze weiterarbeitet, profitiert vom steuerfreien Hinzuverdienst. Sein Kollege, der denselben Beruf selbständig ausübt, ebenfalls über Jahre hinweg Pflichtbeiträge in die gesetzliche Rentenversicherung geleistet hat und weiterhin im Einsatz bleibt, geht leer aus – er muss sein Einkommen voll versteuern. Zwei Menschen, ein Beruf, gleiche Einzahlungen ins Rentensystem, aber völlig unterschiedliche steuerliche Behandlung. Gleiche Arbeit, gleicher Bedarf – völlig unterschiedliche Behandlung. Ein solcher Paradigmenwechsel widerspricht auch dem Gleichbehandlungsgebot. Abhängige Beschäftigung im Alter wird steuerlich privilegiert, während selbständige Tätigkeit bewusst benachteiligt wird.

Die Frage ist, ob man im Kontext eines sich abzeichnenden konstanten Stellenabbaus in derdeutschen Wirtschaft zukünftig noch von einem Fachkräftemangel sprechen kann und rechtfertigt diese Gesamtschau einen solchen Schritt überhaupt? Es wirkt grotesk, dass ausgerechnet ein SPD-geführtes Finanzministerium eine bewusste Ungleichbehandlung vorschlägt, während dieselbe Partei sonst vehement fordert, Einkommen aus Arbeit steuerlich zu entlasten und Einkommen aus Vermögen stärker zu besteuern.

Es kann nicht sein, dass Erwerbsarbeit im Alter unterschiedlich bewertet wird, je nachdem in welcher Form sie ausgeübt wird. Der Staat muss hinnehmen, dass ein steuerlicher Vorteil auch gutverdienenden Selbstständigen zugutekommt – bevor er neue Systembrüche schafft und viele Selbstständigen mit geringen Einkommen schlechterstellt. Für VOTUM ist klar: Entweder alle Einkünfte aus Arbeit – ob angestellt oder selbständig – werden steuerlich entlastet, oder keine. Wir begrüßen, dass Arbeitseinkommen insgesamt mit geringerenAbgaben belastet werden sollten. Doch in diesen Genuss müssen alle Erwerbstätigen gleichermaßen kommen.

Martin Klein, geschäftsführender Vorstand des VOTUM Verbandes:

„Dieser Entwurf ist kein Arbeitsmarktstärkungsgesetz, er ist ein Arbeitsmarktspaltungsgesetz. Er bevorzugt Angestellte, straft Selbständige ab. Wer glaubt, so den Fachkräftemangel zu lösen, täuscht die Öffentlichkeit – und opfert mit der Abschaffung der steuerlichen Gleichbehandlung der Erwerbstätigen ein Grundprinzip der Besteuerungslogik und des individuellen Gerechtigkeitsempfindens. Eine nachhaltige Reform müsste alle Erwerbstätigen einbeziehen."


Über VOTUM e.V.

Der VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e.V. ist der Branchenverband der unabhängigen Finanz- und Versicherungsvermittlungsunternehmen mit Hauptsitz in Berlin. Als solcher vertritt VOTUM die Interessen seiner Mitglieder im Rahmen nationaler und europäischer Gesetzgebungsinitiativen und bietet eine Plattform zur perspektivischen Bewertung regulatorischer Rahmenbedingungen.

An die VOTUM-Mitgliedsunternehmen sind rund 100.000 unabhängige Versicherungs- und Finanzanlagenvermittler angebunden. Diese beraten mehr als 11 Millionen Verbraucher zu Fragen der Absicherung im Alter, der Vermögensbildung und des maßgeschneiderten Versicherungsschutzes.

Weitere Informationen: www.votum-verband.de

Pressekontakt:
Valentin Ochlich
Vorstandsreferent
VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e.V.
Friedrichstraße 149, 10117 Berlin
E-Mail: ochlich@votum-verband.de

Till Kerkhoff
Vorstandsreferent
VOTUM Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e.V.
Friedrichstraße 149, 10117 Berlin
E-Mail: kerkhoff@votum-verband.de


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